Das Projekt »A Gathering of Stories and Memories«
Im Rahmen des Projekts »A Gathering of Stories and Memories« betont das Frauenmuseum Wiesbaden im Jubiläumsjahr 2024 die Bedeutung von Geschichten und Erinnerungen von Frauen. Das Projekt zielt darauf ab, Geschichte(n) als Ganzes zu betrachten und verbindet dabei künstlerische und wissenschaftliche Perspektiven. Die Ausstellungen sind als Auftakt zu verstehen, im September findet dann das eigentliche Jubiläum statt.
Das Frauenmuseum Wiesbaden, seit 1984 aktiv, widmet sich der Sichtbarmachung der Leistungen von Frauen in Kunst, Geschichte, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur. Die Ausstellungen des Museums sind geprägt von einem offenen Dialog und einem umfangreichen Vermittlungsangebot, darunter Führungen, Workshops und Künstlergespräche. Die langjährige Arbeit des Museums wurde durch Auszeichnungen wie den Kulturpreis der Landeshauptstadt Wiesbaden und die Anerkennung als Museum des Monats 2020 gewürdigt, und es ist heute eine international anerkannte Institution im Herzen Wiesbadens.
Die Ausstellungen präsentieren herausragende zeitgenössische Positionen; Gladys Kalichini, die nicht nur zur weiblichen Geschichtsschreibung beiträgt, sondern auch den Zusammenhang zwischen Geschichtenerzählung und Geschichtsschreibung erforscht. Die zeitgenössischen künstlerischen Positionen stehen im Dialog mit der historischen Ausstellung »Margot und die anderen«, die bisher unerzählte Stadtgeschichten aufgreift und um bisher ungehörte Stimmen und Perspektiven erweitert.
Multitalent: Gladys Kalichini – Künstlerin & Forscherin
Die erste Ausstellung, »…these gestures of memory«, läuft noch bis zum 14. Juli 2024. Die Künstlerin Gladys Kalichini setzt sich intensiv mit der (Un-)Sichtbarkeit von Frauen in der Geschichte des kolonialen Widerstandes und der Auslöschung von Frauen aus der Geschichtsschreibung Sambias auseinander. In ihrer Gesamtinstallation schafft Kalichini einen eindrucksvollen Erinnerungsraum für die (un-)sichtbaren Heldinnen der Freiheitskämpfe.
Gladys Kalichini, 1989 geboren, ist eine zeitgenössische bildende Künstlerin und Forscherin aus Lusaka, Sambia. Sie ist Doktorin an der Rhodes-Universität in Südafrika und Mitglied des Forschungsprogramms Arts of Africa and Global Souths. Sie erhielt 2022 den renommierten Henrike Grohs Art Award des Goethe-Instituts und den Prince Claus Seed Award. Ihre künstlerische Arbeit wurde international in renommierten Institutionen wie dem Kunstmuseum Wolfsburg, der KFW Stiftung in Frankfurt am Main und dem Künstlerhaus Bethanien in Berlin gezeigt. In ihrem Werk befasst sich Gladys Kalichini mit der Dualität von Erinnerung und Geschichte. Sie beschäftigt sich mit der (Un-)Sichtbarkeit von Frauen in der Geschichte des kolonialen Widerstandes, wie auch der Auslöschung von Frauen aus der Geschichtsschreibung Sambias.
Eine Ode an Geschichte, Trauer und den weiblichen Widerstand
Inmitten der Doppelausstellung im Frauenmuseum Wiesbaden erstrahlt Gladys Kalichini’s Gesamtkunstwerk – vier Bildschirme, acht Schaukeln in tiefem Schwarz, wovon eine strahlend weiß ist, geschmückt mit Blumen aus zartem Krepppapier, sowie drei elegante Stoffrollen. Dieses Kunstwerk ist eine Geschichte innerhalb einer Geschichte, geschaffen von einer jungen Künstlerin, die ihre Archivarbeit mit einem Doktortitel krönt. Seit 2014 taucht sie tief in Archive ein, verwebt Forschung und Kultur zu einer kraftvollen Leistung und verwandelt ihre Erkenntnisse abstrakt in Kunst. Diese Gesamtkomposition ist nicht nur eine visuelle Augenweide, sondern stellt auch tiefgreifende Fragen: Wie trauern wir? Wie gehen wir mit Trauer um? Wie schreiben wir Geschichte?
Die Schaukeln, filigran schwingend, werden zu Denkmälern gegen den kolonialen Widerstand. Jede Schaukel repräsentiert eine Frau, deren Namen aufgeführt sind – Geburtsnamen und jene, die sie für den Widerstand wählten. Die weiße Schaukel symbolisiert all jene, die noch kommen werden. Die Blumen auf den Schaukeln sind Gedenkkränze, stumme Zeugen des Widerstands. Keine lebenden Blumen – ein Symbol der Unvergänglichkeit. Drei Stoffrollen auf der anderen Seite des Raumes, gefertigt aus Baumrinde seit dem 14. Jahrhundert, erinnern an eine fast vergessene Praxis, durch den Kolonialismus fast ausgelöscht. Sie sollen nicht vergessen werden, sind abstrakt und reduziert, doch ihre Textur ist sichtbar.
Auf mehreren Bildschirmen lädt die Videoinstallation zum Verweilen ein. Frauen in traditioneller Kleidung führen kollektive Trauerrituale durch, tragen Weiß – eine universelle Farbe der Trauer. Diese kollektive Trauerarbeit ist bewusst gestaltet, um lebendig zu bleiben, damit nichts verloren geht. Geschichte schreibt sich nicht von selbst, daher liegt es in unserer Verantwortung, diese zahllosen Geschichten, die noch in Archiven ruhen, zu erfahren. Welche Auswirkungen könnte das Wissen um diese Geschichten auf unsere Zukunft haben? Diese Kunstinstallation regt zum Nachdenken an und ruft uns dazu auf, die Verantwortung zu übernehmen, Geschichte weiterzutragen.
Gebrochenes Schweigen – Die ungehörten Geschichten
Parallel dazu präsentiert das Frauenmuseum die historische Ausstellung »Margot und die anderen – Zwangssterilisation im Nationalsozialismus«. Diese läuft ebenfalls noch bis zum 14. Juli 2024 und wirft einen besonderen Fokus auf die lokale Geschichte Wiesbadens, die bisher wenig Beachtung fand.
Ein jahrelanges Forschungsprojekt, initiiert von der Begegnung einer jungen Frau in einem Museum vor Jahren, entfaltet sich in einer einzigartigen Erzählung. Das Projekt nahm seinen Anfang als eine ältere Damen dem Frauenmuseum Wiesbaden Dokumente übergab, die ihre eigene tragische Geschichte offenbarten. Die Ausstellung basiert auf diesen beklemmenden Erkenntnissen, die das Leben der betroffenen Kinder für immer geprägt haben.
Bereits beim Betreten des ersten Obergeschosses spürt man die bedrückende Atmosphäre. Die Klänge der Videoinstallation aus dem Erdgeschoss hallen nach, während man mit einem Kloß im Hals die schriftlichen Zeugnisse liest. Hier, im Zentrum des Geschehens, manifestiert sich das Resultat von fünf Jahren intensiver Forschungs- und Archivarbeit, geleitet von Kim Engels und dem Team des Frauenmuseums Wiesbaden.
Die historische Ausstellung beleuchtet die grausame Praxis der Zwangssterilisationen von Kindern im Nationalsozialismus. Etwa 400.000 Menschen wurden in Deutschland schätzungsweise zwangssterilisiert, ein menschenfeindliches Gesetz von 1934 fand große Zustimmung auch unter der Bevölkerung. Besondere Aufmerksamkeit gilt den sogenannten Rheinland-Kindern, die aufgrund rassistischer Kriterien illegal sterilisiert wurden. Die begleitende Publikation vertieft die Ausstellungsinhalte wissenschaftlich. Die Ausstellung und die Publikation sind das Ergebnis einer mehrjährigen Forschungsarbeit, die mit der Geschichte von Margot begann, einer Frau, die im Kindesalter zwangssterilisiert wurde.
Die Ausstellung »Margot und die anderen« schreibt nicht nur Geschichte, sondern macht auch deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine aktuelle Verantwortung ist. Der Weg zur Anerkennung und Würde für die Opfer ist mühsam und die bewusste Ausgrenzung dieser Menschen dauert leider bis heute an. Margot, Initiatorin dieses Projekts, verstarb 2020 und erlebt die beeindruckende Ausstellung leider nicht mehr. Ihre Geschichte und die zahllosen anderen erinnern uns daran, dass die Wahrung der Menschenwürde ein dauerhafter Kampf ist.
Dualausstellung im Frauenmuseum Wiesbaden
28. Januar bis 14. Juli 2024
Öffnungszeiten:
Mi und Do: 12-17 Uhr
Sa und So: 12-17 Uhr
Frauenmuseum Wiesbaden
Wörthstraße 5
65183 Wiesbaden